POLYTEC PASSION CREATES INNOVATION

„… UNSER TEAM HAT IN DEN LETZTEN JAHREN ENORMES GELEISTET …“

Interview mit dem Vorstand

Markus Huemer (CEO), Heiko Gabbert (COO) und ­Peter ­Bernscher (CCO) im Gespräch über immer ­wieder neue Herausforderungen und Chancen, gelungene ­Trans­formation, breite Technologievielfalt, ­konsequente ­Innovation, aktive Marktbearbeitung und faire Zusammenarbeit.​​​​​​​

 


Herr Huemer, wie ist das Geschäftsjahr 2021 für POLYTEC in Summe verlaufen? Nach dem Krisenjahr 2020 hatten Sie sich ja recht zuversichtlich gezeigt. Sind Sie zufrieden mit der Performance?​​​​​​​


​​​​​​​Markus Huemer: Objektiv gesehen kann ich mit einer EBIT-Marge von 2,2 Prozent und einem ROCE von 3,7 Prozent nicht zufrieden sein. Wenn ich aber auf die immer neuen Herausforderungen der letzten Jahre blicke, können wir sehr wohl stolz sein auf das, was unser Team geleistet hat, gerade unter diesen schwierigen Umständen. Ohne die tiefgreifende Transformation der letzten Jahre – ich denke hier vor allem an Initiativen wie ONE POLYTEC oder die POLYTEC SOLUTION FORCE, aber auch an unsere umfassende ­Digitalisierungsoffensive – wäre es nicht möglich gewesen, die Verwerfungen des Jahres 2021 kurzfristig zu beherrschen und dabei gleichzeitig unsere Vorwärtsorientierung beizubehalten. Doch natürlich nagt es an der Substanz, wenn über Jahre hinweg immer dann, wenn die Entwicklung nach oben zu gehen scheint, der nächste Rückschlag folgt. ​​​​​​

 


Wie sieht vor diesem Hintergrund das Ergebnis 2021 konkret aus?  

 

Markus Huemer: Der Umsatz ist auf rund EUR 556 Mio. minimal gestiegen, das EBIT lag mit EUR 12,3 Mio. geringfügig unter dem Vorjahreswert und ­damit immerhin deutlich im positiven Bereich. Bereinigt man den Wert für 2020 noch um das darin enthaltene Entkonsolidierungsergebnis von EUR 17 Mio., bedeutet das eine deutliche Steigerung der operativen Ertragskraft. Man muss dabei bedenken, dass wir 2017 noch knapp EUR 680 Mio. Umsatz hatten, also einen substanziellen Rückgang verkraften mussten, und dass gleichzeitig ein deutlicher Wandel unseres Produktportfolios erfolgt ist. Das hat eine rasche Anpassung unserer Strukturkosten und auch verschiedene Investitionen erfordert. Dass wir trotz massiver Umbrüche Jahr für Jahr positive Ergebnisse liefern, ist eine Leistung.

Das enge Korsett, das uns unsere Kunden aufzwingen, ist bei alldem nicht hilfreich, denn die Kapitalbindung ist angesichts der erzielbaren Erträge viel zu hoch. Unser Capital Employed beträgt im Schnitt beachtliche EUR 330 Mio. Auf Dauer ist das nicht befriedigend – entweder erholen sich die Abrufe kurzfristig, oder man diskutiert die Bedingungen. Natürlich freut es uns, dass unsere Kernkunden hervorragende Ergebnisse einfahren, doch über deren gerechtere Verteilung sollte man wahrscheinlich nachdenken.

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​​​​​​​Was waren die wesentlichen ­externen Faktoren bzw. Hauptein­flüsse? Die Coronakrise und der viel diskutierte Chipmangel haben die Automobilindustrie ja vor große Herausforderungen gestellt, hinzu kamen steigende Rohstoff- und Energiepreise.

 

Markus Huemer: Die Herausforderungen haben allerdings nicht erst mit der Coronakrise begonnen, sondern schon 2018 mit den Dieselfahrverboten in deutschen Innenstädten, die das Kaufverhalten der Konsumenten und damit auch unser Geschäft im Powertrain-­Bereich spürbar verändert haben. Dies war und ist aber natürlich auch eine Chance, denn es ergaben sich daraus spannende neue Anforderungen an Innovation und neue Produkte. 2020 folgte dann Corona mit den allseits bekannten Auswirkungen. Diese dachten wir Ende 2020 einigermaßen im Griff zu haben – und dann folgte 2021 eine schmerzhafte Verknappung bei zahlreichen Rohstoffen und Materialien. Das prominenteste Beispiel sind hier sicher Mikrochips, betroffen sind aber auch nahezu alle anderen wesentlichen Rohstoffe sowie Energie, alles begleitet von massiven Kostensteigerungen. Gleichzeitig zeigte sich das Abrufverhalten unserer Kunden extrem volatil. Meist wurden hohe Stückzahlen angekündigt, auf die wir sowohl die Materialdisposition als auch die Kapazitätsplanung ausgerichtet haben – und dann wurde im letzten Moment storniert, im Extremfall sogar auf null. Dass uns das in der Fertigungsplanung massiv gefordert hat, liegt auf der Hand. Doch auch dies schien sich im Februar dieses Jahres einigermaßen eingependelt zu haben, bis die russische Invasion in der ­Ukraine die Welt schockiert hat. Welche Auswirkungen die Kriegshandlungen mittelfristig haben werden, ist noch nicht abzusehen, doch die Unsicherheit hält auf jeden Fall weiter an.
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Wie reagieren Sie auf reduzierte bzw. hoch volatile Abrufe? Mussten z. B. weitere Kapazitätsanpassungen vorgenommen werden?

 

Heiko Gabbert: Komplette Werksschließungen waren zum Glück nicht wieder erforderlich, wir haben uns eher darauf konzentriert, die Arbeit in den bestehenden Werken möglichst effizient zu gestalten. Drei zentrale Aufgaben haben sich dabei gestellt: die Anpassung der Fertigungsplanung an das volatile Abrufverhalten, die ­Sicherstellung der Rohstoffversorgung zu einem einigermaßen erträglichen Preisniveau – und dann natürlich laufende intensive Abstimmungen mit den Kunden. Wir mussten dabei sogar temporäre Produktionsstopps und kurzfristige Anpassungen des Mitarbeiterstands vornehmen, insbesondere bei den Leiharbeitskräften. Dabei konnten wir immerhin die länderspezifischen Kurzarbeitsregelungen nutzen. Man darf nicht übersehen: Wir reden von ganzen Schließwochen bei unseren Kunden, das hat auch bei uns den Entfall von Produktionsschichten und das Herunterfahren ganzer Werke bedingt. Was es für uns noch schwieriger macht: Während unsere Kunden ganze Werke schließen können, sind bei uns immer nur Teilbereiche betroffen, denn wir versorgen in der Regel von einem Werk aus mehrere Kunden. Das macht eine effiziente Gesamtplanung de facto unmöglich. Erschwerend kommt ein durch Covid-19 bedingt, erhöhter Krankenstand von bis zu 20 Prozent hinzu. Zum Glück haben unsere Mitarbeiter nach wie vor Verständnis für die getroffenen Maßnahmen, doch ihre Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. Dass dieses permanente Hoch- und wieder Herunterfahren der Produktion erheblichen Aufwand verursacht, muss denke ich nicht eigens erwähnt werden. 

 


Wie entwickelten sich in diesem Umfeld die Nachfrage bzw. die Abrufe in den einzelnen Produktbereichen bzw. Marktsegmenten?

 

Peter Bernscher: Dank der bereits geschilderten negativen Einflüsse liegt unser Umsatz mit PKW-Teilen 2021 um etwa 15 Prozent unter den Erwartungen. Besonders betroffen ­davon waren die Bereiche Powertrain ­Solutions, ­Painted Exterior und Unterboden. Bei den Nutzfahrzeugen und auch bei Werkzeugen lagen die Umsätze hingegen im Plan. Ein erfreulicher Gegeneffekt war eine deutliche Umsatzsteigerung im Bereich Smart ­Plastic Applications – hier lagen wir um gut 40 Prozent über unserem Budget. Das untermauert unsere Strategie, im nicht-automotiven Bereich verstärkt Aktivitäten zu setzen. 

 


Sie haben schon in den Raum gestellt, dass unter den aktuellen Umständen die Geschäftsusancen mit der Automobilindustrie überdacht werden sollten. In welche Richtung sollte das gehen?

 

Markus Huemer: Es müsste möglich werden, die tatsächlichen Kosten angemessen an die Kunden weiterzugeben. Wir haben als Kunststoffzulieferer heute nicht einmal eine Materialpreisklausel, wie sie in anderen Branchen üblich ist, und das gefährdet unsere Profitabilität – unsere EBIT-Marge und unser ROCE zeugen davon. Denn wir müssen nicht nur Mengenrückgänge und die Kosten der gestiegenen Volatilität verkraften, sondern zusätzlich und gleichzeitig enorme Kostensteigerungen bei Rohstoffen und Energie. Angesichts unseres hohen Kapitaleinsatzes wird das auf Dauer nicht funktionieren und passt auch nicht ins Bild, wenn allenthalben von Nachhaltigkeit und Ethik in der Wirtschaft gesprochen wird. Unser Ziel ist deshalb eine faire, tragfähige und nachhaltige Verteilung von Kosten und Erträgen. Leider gibt es für weite Teile der Zulieferindustrie aber keine Lobby. 

 

Peter Bernscher: Die Situation ist einfach neu und für alle Beteiligten ungewohnt: Wenn man sich die Rohstoff- und Energiepreise ansieht, ist die Entwicklung über viele Jahre weitgehend linear und eben verlaufen – und nun sind die Kurven massiv nach oben ausgebrochen. Die Ukraine-Krise wird diese Tendenzen womöglich noch verschärfen, vor allem bei Energie. Ich denke, hier wird man einen neuen ­Modus finden müssen, wie man solche Dinge klärt und miteinander umgeht. Denn das alte Geschäftsmodell passt einfach nicht mehr. Das gilt übrigens nicht nur extern, sondern auch intern. Deshalb haben wir die Bereiche Einkauf und Sales zusammengeführt und damit mehr Sensibilität, Disziplin und Schlagkraft geschaffen.

 


Und wie sieht es mit Konsolidierungen in der Branche – und damit Akquisitionsmöglichkeiten – aus? Krisenzeiten haben für POLYTEC in der Vergangenheit ja immer wieder Potenzial geboten …

 

Markus Huemer: Wie üblich beobachten wir die Lage, im Moment sind aber keine Unternehmen auf dem Markt, die für uns strategisch interessant und zu einem vernünftigen Kaufpreis zu bekommen wären. Nach der Kapazitätsreduktion des Jahres 2020 machen kleinere Akquisitionen in Europa auch strategisch wenig Sinn. ​​​​​​​

 


Wie sehen Sie sich trotz aller ­dieser Widrigkeiten positioniert?

 

Markus Huemer: Wir haben ­POLYTEC in den letzten Jahren grundlegend transformiert und zukunftsfit gemacht, darauf sind wir stolz: Wir haben in unserem Marktzugang mit der POLYTEC SOLUTION FORCE eine kunden- und bedarfsorientierte Vorwärtsstrategie gestartet. Als Grundlage dafür haben wir die Komplexität, die in unserer Technologievielfalt liegt, im Rahmen von ONE POLYTEC durch eine zentral gesteuerte, aber dezentral funktionierende Organisation beherrschbar gemacht und können diesen Wettbewerbsvorteil damit gezielt ausspielen. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet unsere umfassende Digitalisierungsoffensive, die dafür sorgt, dass Informationen und Daten in der gesamten Gruppe jederzeit und in hoher Qualität verfügbar sind – denn sie sind als Entscheidungsgrundlagen gerade in einem so komplexen Umfeld wie heute unverzichtbar. Mit diesen und weiteren Initiativen hat unser Team in den letzten Jahren Enormes geleistet, das bestätigen auch unsere Kunden. Nur leider lassen es derzeit die äußeren Umstände nicht zu, dass wir die Früchte unserer Arbeit ernten. Ich kann hier nur meinen Respekt vor unseren Mitarbeitern betonen, dass sie all diese Veränderungen trotz aller Widrigkeiten so konsequent umgesetzt haben und täglich an der Weiterentwicklung des Unternehmens mitwirken.

 


Sie haben schon erwähnt, dass es derzeit für Prognosen zu früh ist – lässt sich der Einfluss der Ereignisse in der Ukraine auf die Automobilindustrie und auf Ihr Geschäft dennoch irgendwie einschätzen?

 

Markus Huemer: Wir sehen aktuell zunehmende Abrufeinbrüche, doch kann man schwer sagen, inwieweit sie auf generellen Versorgungsengpässen bei unseren Kunden beruhen oder auf den Kriegshandlungen. Sicher hat die Invasion in der Ukraine die Tendenz jedoch unmittelbar und deutlich verstärkt. Dies betrifft aber nur die nähere Zukunft. Wie sich die aktuelle Lage mittel- und längerfristig auf das Kaufverhalten der Endverbraucher und damit auf die KFZ-Nachfrage, auf die Rohstoff- und Energiemärkte, aber auch auf die Logistikketten insbesondere zwischen Europa und Asien auswirkt, bleibt abzuwarten. Wir haben jedenfalls in den letzten Jahren bewiesen, dass wir sehr flexibel auf volatile Abrufe reagieren können. 

 


Sie haben Ihr Leitbild aktualisiert und überarbeitet. Hat sich auch an Ihrer Strategie etwas verändert? 

 

Markus Huemer: Unsere Strategie bleibt – mit Ausnahme von Präzisierungen und leichten Anpassungen an das geänderte Umfeld – unverändert. Den Kern bilden weiterhin die Stärkung unserer Marktposition, die Entwicklung neuer Technologien und Anwendungen sowie die Fokussierung auf den Kundennutzen. Uns ging es aber darum, unsere Positionierung und unsere Identität zu schärfen sowie verständlicher zu formulieren, gerade im Hinblick auf unsere Mitarbeiter. Zudem wollten wir die Veränderungen der letzten Jahre kompakt zusammenfassen. Sehr wichtig war uns dabei das Thema Identität, denn gerade in volatilen Zeiten ist es für Mitarbeiter wichtig zu wissen, wer ihr Arbeitgeber ist, oder für Kunden und Lieferanten, mit welchem Partner sie es zu tun haben. Unverändert bleibt bei alldem natürlich die Konzentration auf die Kunststoffindustrie, wir wollen hier aber unseren Radius auch auf andere Branchen außerhalb der Automobilindustrie erweitern.

 


Vor einiger Zeit haben Sie bekanntgegeben, dass das Ende 2022 auslaufende Mandat Ihres Finanzvorstands Peter Haidenek nicht verlängert wird. Was ist der Hintergrund dieser Verkleinerung Ihres Vorstandsteams?

 

Markus Huemer: Da alle Vorstandsverträge Ende 2022 abgelaufen wären, haben wir uns gemeinsam mit dem Aufsichtsrat frühzeitig mit diesem Thema befasst, um gerade in den aktuell schwierigen Zeiten Stabilität in der Führung zu gewährleisten. Eines der ­Ergebnisse dieser Überlegungen war eine Reduktion der Vorstandsmandate, weil unter den aktuellen Rahmenbedingungen noch höherer Bedarf an rascher, enger Abstimmung besteht. Zudem erschien es gerade in Krisenzeiten sinnvoll, die Finanzagenden direkt bei mir als CEO anzusiedeln. Das operative Tagesgeschäft liegt damit künftig in den Händen von Peter ­Bernscher und Heiko Gabbert. Dies bringt nicht nur einen noch stärkeren Fokus auf Prozessoptimierung, wir haben damit gleichzeitig sowohl den Prozess Einkauf-Vertrieb als auch das Themenfeld Nachhaltigkeit neu strukturiert. Ich selbst zeichne – unterstützt durch einen starken Vice President Finance – für die Finanzen und für alle Servicebereiche verantwortlich. Voraussetzung für ­diese Neuordnung waren natürlich die organisatorische Optimierung und auch die Zentralisierung der letzten Jahre.

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​​​​​​​Wie entwickelt sich die 2020 eingeführte POLYTEC SOLUTION FORCE? Haben die Kunden das neue Modell der Marktbearbeitung gut angenommen?

 

Peter Bernscher: Überall dort, wo wir über guten Kundenzugang und ein gut koordiniertes Team verfügen, sind wir wirklich erfolgreich – das sehe ich eindeutig als Proof of Concept. Die Herausforderung lautet nun, diese Erfolge in die Breite zu bringen. Erfreulich ist, dass wir über unsere Strukturkompetenz nun auch an noch anspruchsvollere Teile herankommen. In Bereichen wie New Mobility (also z. B. Flugtaxis, E-Sportwagen, People Mover, Kabinenroller/Micro Mobility) und Smart Plastic Applications (Energie, Logistik) sehen wir ebenfalls höchstes Kundeninteresse und die attraktive Chance, neue und unkonventionelle Lösungen zu entwickeln. Natürlich sind die Umsätze in diesen Bereichen aber vom Erfolg der neuen Anbieter abhängig, zudem haben wir es mit wesentlich längeren Realisierungszeiträumen zu tun. Ebenso müssen wir uns auf vollkommen andere Geschäftsmodelle und auch andere Formen der Akquisition und der Zusammenarbeit mit den Kunden einstellen.


Sie punkten traditionell mit Technologievielfalt und Innovation, die auch in Ihrer Strategie eine ganz wichtige Rolle spielen. Was tut sich in diesem Bereich aktuell?  

 

Heiko Gabbert: Technologievielfalt ist und bleibt ein zentraler Erfolgsfaktor für POLYTEC, denn auf dieser Basis können wir Projekte bearbeiten, die die Möglichkeiten der meisten unserer Mitbewerber übersteigen. Hier punkten wir mit der Kombination unterschiedlicher Technologien, Materialweiterentwicklung sowie Funktionsintegration und konzentrieren uns nach Kräften auf zukunftsfähige Konzepte. Ein Beispiel dafür sind Unterbodenverkleidungen für E-Fahrzeuge, bei denen Batteriemodul und Fahrzeugunterboden einfach miteinander verschmelzen – das spart Teile und führt damit auch zu einer Gewichtsreduktion. In der Umsetzung derartiger Projekte setzen wir stark auf Eigeninitiative und gehen auch ins Risiko, Kundennutzen und Vermarktungsfähigkeit natürlich vorausgesetzt. Das wird von unseren Kunden sehr geschätzt.

 

Peter Bernscher: Mittlerweile haben wir drei zentrale Engineering-Streams definiert und auch gut auf den Weg gebracht. Sie bearbeiten die aus unserer Sicht wichtigsten, auch über die einzelnen Product Lines hinweg wirksamen Themen: Dies sind zum einen Hochvoltbatterie-Gehäuse als unsere Gesamtantwort auf die Elektrifizierung des Antriebsstrangs von Fahrzeugen. Der zweite Stream betrifft die Entwicklung von Hochleistungsmaterialien und die Simulation ihrer Charakteristika. Das ist eine zentrale Voraussetzung für die Auslegung von Hybrid-Strukturbauteilen, weil wir dazu einen 360-Grad-Überblick über die Leistungsfähigkeit der Materialien benötigen. Und der dritte Stream beschäftigt sich mit der Nachhaltigkeit von Produkten, von Materialauswahl und -verbrauch über die Produktionsweise bis hin zum Recycling. All das muss bereits in der Entwicklung berücksichtigt und für die gesamte Produktionskette übergreifend konzipiert werden. Für alle drei Streams gibt es klare Roadmaps und Meilensteine, denn wir wollen die Ergebnisse möglichst schnell zum Kunden bringen. Daneben verfolgen wir aber natürlich noch diverse kleinere Vorentwicklungsprojekte.

 


Und welche Rolle spielt E-Mobility?

 

Peter Bernscher: Eine wesentliche, denn Elektromobilität ist ein starker Trend – wenn nicht gar ein Paradigmenwechsel – mit hohem Potenzial für uns, genauso wie der vorhin angesprochene Bereich New Mobility. Deshalb betrachten wir E-Mobility als große Chance. Teile, die direkt mit Verbrennungsmotoren verknüpft sind, machen heute nur mehr etwa 20 Prozent unseres Portfolios aus – bis 2025 wird ihr ­Anteil auf 7 bis 8 Prozent zurückgehen und durch andere Produkte ersetzt werden. E-Autos beinhalten übrigens viele Teile, die ähnlich sind wie bei konventionellen Fahrzeugen, die beherrschen wir natürlich aus unserer Historie heraus. Wichtige Beispiele dafür sind das Wärme- und Kältemanagement, Akustikkomponenten oder Unterböden. Ein weiteres Plus: Leichtbau ist bei E-Autos angesichts der Reichweite besonders wichtig. Hier übertragen wir bewährte Lösungen einfach in eine neue Sparte und können damit unsere Technologie und unser Wissen nutzbringend einsetzen.

Ähnliches gilt für New Mobility. Dieses Segment ist übrigens auch dadurch interessant, dass mit den geringeren Geschwindigkeiten auch andere Anforderungen an die Teile gelten, das bietet natürlich die Chance, den Kunststoffanteil insgesamt zu erhöhen. Die in Summe geringeren Stückzahlen, gepaart mit einer zum Teil höheren Individualisierung, können wir mit unseren Technologien gut bewältigen.

 


Wie sieht es im Bereich ­Non-Automotive aus? 

 

Peter Bernscher: Wie vorhin schon erwähnt, haben wir durch die Forcierung der Produktlinie Smart Plastic Applications den richtigen Pfad eingeschlagen, denn genau dieser Bereich hat sogar im schwierigen Jahr 2021 deutlich zugelegt. Für uns stehen hier zwei Themen im Vordergrund: Energiespeicherung und -abgabe einerseits sowie Logistik andererseits – beides Bereiche mit starker Wachstumsdynamik. So sind sowohl Speichermodule als auch Ladeinfrastruktur angesichts des Vormarsches der dezentralen Energie­erzeugung und der E-Mobilität sehr gefragt, und in beiden Feldern können wir mit innovativen Kunststofflösungen punkten. Dasselbe gilt für den Bereich Logistik, denn angesichts einer immer individueller, flexibler und näher am Konsumenten agierenden Wirtschaft braucht es jede Menge neuer Logistiklösungen, um Produkte rasch und effizient zum Kunden zu bringen. Auch hier ist Kunststoff oft das Material der Wahl, wenn es um leichte und wiederverwendbare Gebinde geht. Doch wir sind auch außerhalb dieser zwei Bereiche offen für Produktideen, die wirtschaftliches und innovatives Potenzial haben. In Summe rechnen wir bei Smart Plastic Applications über einen Zyklus von fünf Jahren mit einer Umsatzsteigerung von bis zu 40 Prozent. 

 


Wie wird sich der Markt aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren entwickeln – auch vor dem Hintergrund der Situation in der Ukraine? 

 

Peter Bernscher: Vor der Invasion in der Ukraine war eine Aufwärtswelle bei den Abrufen zu verspüren, die auf eine weiterhin solide Nachfrage im Automobilmarkt schließen ließ. Auch bei Mikrochips war eine gewisse Entspannung festzustellen. Auf dieser Basis waren wir sehr zuversichtlich, wieder auf ein vertretbares Absatzniveau zu kommen. Dies hat sich mit der Ukrainekrise nun wieder relativiert, hinzu kommt die anhaltende Unsicherheit im Zusammenhang mit Corona. Das Fazit daraus lautet: Wir werden auf Monate und womöglich Jahre hinaus mit größerer Ungewissheit leben müssen, deshalb ergeben Prognosen wenig Sinn. 

Ein Lichtblick ist bei alldem, dass die Auftragsbücher der Automobilindustrie voll sind: Die Bestellungen sind so hoch wie schon seit vielen Jahren nicht, bei PKW ebenso wie bei Nutzfahrzeugen. Noch nie hatten wir so lange Lieferzeiten und einen derart hohen Produktionsrückstau bereits verkaufter Fahrzeuge. Das bedeutet: Sobald sich die Verhältnisse einigermaßen stabilisieren, ist mit hohen Stückzahlen zu rechnen.

 


Das Thema Nachhaltigkeit bzw. ESG wurde bei POLYTEC im vergangenen Jahr – auch organisatorisch – noch stärker verankert. 

 

Markus Huemer:  ​​​​​​​Wir bearbeiten dieses Thema ja schon seit Jahren intensiv, nun haben wir seine Bedeutung auch strukturell noch deutlicher betont. Und da unsere Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf den Personal- und den Ressourceneinsatz im operativen Bereich am größten sind, haben wir es auf Vorstandsebene Heiko Gabbert zugeordnet. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass wir Nachhaltigkeit rein auf Operations bezogen betrachten, sondern wesentlich breiter. Tief verankert ist das Konzept z. B. auch in unserer Entwicklungsstrategie.​​​​​​

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Welche Aspekte stehen hier im Vordergrund, wo liegen Ihre Ziele? 

 

Heiko Gabbert:  ​​​​​​Hinter der neuen Positionierung stehen drei Motive bzw. Anliegen: Zum einen gewinnen Aspekte wie CO2-Ausstoß, Materialauswahl, Verarbeitungsmethoden und Recyclingfähigkeit zunehmend an Bedeutung für unsere Kunden, die daher verstärkt entsprechende Maßnahmen, Nachweise und auch Ratings von uns einfordern. Ein weiterer wichtiger Impuls ist – im Rahmen des Green Deal der EU – die EU-Taxonomie-Verordnung, die von uns eine transparente und konsistente Berichterstattung zu verschiedenen Parametern verlangt. Als Teil der Kunststoffindustrie finden wir uns hier gut wieder und können schon heute einen Anteil von rund 30 ­Prozent Taxonomiefähigkeit bei Umsatz, ­CapEx und OpEx nachweisen, wollen das aber natürlich sehr strukturiert angehen. Und last, but not least ist es uns selbst seit Jahren ein Anliegen, unseren CO2-Footprint zu reduzieren – eine Fülle von Energiespar-, aber auch Recyclingmaßnahmen zeugt davon. Langfristiges Ziel ist eine CO2-neutrale Produktion, auf die wir mit ­realistischen Maßnahmen und Zwischenzielen hinarbeiten. Denn wir möchten Nachhaltigkeit tatsächlich ­leben und kein Greenwashing betreiben. 


Können Sie konkrete Nachhaltigkeitsprojekte nennen? Im Dezember haben Sie ja z. B. die erste grüne Finanzierung für den Maschinenpark im Werk Ebensee abgeschlossen.

 

Heiko Gabbert: Möglichst grün wollen wir auch unsere Stromversorgung gestalten: In unseren Werken in Hörsching und Wolmirstedt sind Photovoltaikanlagen in Betrieb gegangen, fünf weitere sind gerade in Planung. Und auch beim externen Strombezug setzen wir wo immer möglich auf Grünstrom, in Westeuropa ist dies bereits flächendeckend gelungen. Neben den eben angeführten  regenerativen Energiequellen wollen wir zudem auch neue Alternativen finden und weitere dezentrale Möglichkeiten zur Energieversorgung nutzen. 

Mit der erwähnten grünen Investition in Ebensee – sie betraf neben einer Erweiterung des Maschinenparks vor allem eine neue Recyclinganlage – ist es gelungen, den Werkstoffkreislauf komplett zu schließen: Wir können nun gebrauchte, nicht mehr funktionsfähige Produkte des Kunden zurücknehmen und zu nahezu 100 Prozent wiederverwerten. Damit vereint der Standort Ebensee zwei ganz zentrale Elemente nachhaltigen Wirtschaftens: CO2-neutrale Produktion und stoffliche Wiederverwertung. Und das noch dazu mit einem Non-Automotive-Produkt …

 


Schauen wir kurz auf Ihre internationalen Werke – konkret das neue Werk in Südafrika und jenes in China? Wie hat sich z. B. die Wirtschaftsverlangsamung in China ausgewirkt? Und wie läuft die 2021 gestartete Produktion in Südafrika?

 

Heiko Gabbert: Unser Standort in ­China entwickelt sich weiterhin positiv, wir durften hier auch wieder zusätzliche Aufträge und Neuanläufe verzeichnen, sogar im Bereich Non-Automotive. Als neues Produkt fertigen wir nun auch hier Transportboxen für denselben Kunden wie in Ebensee, nur etwas abgewandelt für den chinesischen Markt. Trotz aller Widrigkeiten durch Corona – so etwa flächendeckender Lockdowns – konnten wir den Betrieb immer mit unseren eigenen Mitarbeitern aufrechterhalten. Anders wäre es auch kaum gegangen, denn der Einsatz von Mitarbeiter oder Experten aus Europa wäre aufgrund der Quarantäneregelungen unmöglich gewesen. Auf diese Weise haben wir auch Neuan­läufe zum Teil aus der Ferne betreut. 

In Südafrika durften wir uns Mitte 2021 über einen denkbar glatten Anlauf der Produktion freuen, allerdings haben deutliche Verzögerungen beim Kunden dazu geführt, dass wir hier bis dato nur relativ geringe Umsätze erzielen konnten. In Summe haben wir hier etwa ein halbes Jahr verloren und kommen erst jetzt in den wirklichen Ramp-up. Dass der Neubau dieses Werks trotz Corona so gut gelungen ist, war eine enorme Leistung unserer Teams in Südafrika und Europa sowie auch unserer Zulieferer. 

 


Konnten Sie Ihr Investitions­programm 2021 wie geplant fortführen und auch die 2020 verschobenen Investitionen nach­holen? Welche Investitionspläne gibt es für kommende Jahre?

 

Markus Huemer: In Summe haben wir 2021 knapp EUR 36 Mio. investiert. Ein zentrales Projekt war hier das neue Werk in Südafrika, dessen Realisierung schon Ende 2019 gestartet war. Insgesamt sind in dieses neue Werk rund EUR 14 Mio. geflossen, davon EUR 4 Mio. im vergangenen Jahr. Hinzu kamen weitere EUR 13 Mio. für das Projekt in Ebensee, das wir erstmals über ein „Green Financing“ abgewickelt haben. Zusätzlich haben wir einige Maschineninvestitionen realisiert, für die auch Förderprogramme genutzt werden konnten. 

 

Heiko Gabbert:  Im laufenden Jahr werden wir aber sicher weniger ­investieren als 2021. Grundsätzlich gilt, dass wir Investitionen genau ­hinterfragen und uns auf dringend notwendige ­Projekte beschränken, vor allem bei Ersatz­investitionen sind wir eher zurückhaltend. 2022 wird es auch keine Werks­erweiterungen geben. 

 


Wie sieht es mit Ihrer Finanzierung bzw. Kapitalausstattung aus? Ihre Eigenkapitelquote haben Sie ja auf sehr hohem Niveau gehalten ...

 

Markus Huemer: Die Eigenkapital­quote konnten wir sogar um 0,7 Prozentpunkte auf 42,0 Prozent erhöhen und befinden uns damit auf einem sehr soliden Niveau. Hinzu kommt, dass alle wesentlichen Immobilien und Anlagen in unserem Eigentum stehen, damit fühlen wir uns insgesamt gut abgesichert. 2021 haben wir zudem EUR 24 Mio. unserer Schuldscheindarlehen rückgeführt, weitere EUR 21 Mio. an Tilgungen sind im März 2022 erfolgt – im aktuellen Umfeld keine kleine Herausforderung. Refinanziert wurden diese Tilgungen durch Asset-basierte Instrumente. Damit sind bis November 2023 keine Tranchen mehr fällig. Bis 2025 bleibt ein Betrag von gut EUR 80 Mio. aus Schuldscheindarlehen mit unterschiedlichen Fälligkeiten offen – die Refinanzierung dieser Beträge werden wir im laufenden Jahr klären.

 


Ihre Aktie hat nach dem Coronatief im März 2020 bis Mitte des Jahres 2021 stetig auf über EUR 12 zugelegt, seither aber wieder nachgegeben. Derzeit befindet sie sich wieder unter dem Niveau von Anfang 2020. Wie interpretieren Sie diese Entwicklung?

 

Markus Huemer: Unsere Kursentwicklung spiegelt die aktuellen Herausforderungen und Risiken der ­Automobil- und der Automobilzulieferindustrie wider. Die positive Entwicklung im ersten Halbjahr 2021 sehen wir als Bestätigung unseres erfolgreichen Transformationskurses. Umgekehrt zeigt der Abwärtstrend unserer Aktie im zweiten Halbjahr, in welchem Spannungsfeld sich die Zulieferindustrie befindet. Wenn man an die Automobilindustrie glaubt – und das legt der ungebrochen hohe Fahrzeugbedarf nahe –, muss man auch an ­POLYTEC glauben, denn wir sind sehr gut aufgestellt, um die Chancen daraus zu nutzen. Wir tun jedenfalls alles dafür, mit einer soliden Unternehmensperformance dazu beizutragen, dass sich der Kurs unserer Aktie dem – deutlich höheren – Buchwert wieder annähert.

 


Und wie steht es um Dividenden – auch vor dem Hintergrund der Kriegshandlungen in der Ukraine?

 

Markus Huemer: Gemeinsam mit dem Aufsichtsrat werden wir der Hauptversammlung vorschlagen, für 2021 eine Dividende von 10 Cent pro Aktie auszuschütten. Damit möchten wir die Aktionäre an unserem positiven Ergebnis teilhaben lassen und halten uns gleichzeitig an unsere Dividend Policy, die eine Auszahlung in der Größenordnung von 30 Prozent des Jahresgewinns vorsieht. 

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​​​​​​​Zum Abschluss bitte noch Ihr ­Ausblick ins Jahr 2022 und ­danach.

 

Markus Huemer: Aus derzeitiger Sicht ist eine Prognose unmöglich, denn eine qualifizierte Vorhersage lässt sich angesichts der anhaltenden Verwerfungen durch Corona und die Kriegsereignisse in der Ukraine nicht machen. Dass wir alles Menschenmögliche tun werden, um unter den gegebenen Umständen ein solides Ergebnis zu erreichen, versteht sich von selbst, das haben wir auch in den vergangenen Jahren bewiesen. Wir reagieren jedenfalls flexibel und zeitnah auf die laufenden Veränderungen in unserem Umfeld. Dabei stimmen wir uns eng mit unseren ­Kunden und Lieferanten ab, um die aktuellen Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen.